Linien
schwingen im Raum
"Transformaciones": Herta Seibt de Zinsers bewegliche
Raumplastiken im Freiburger E-Werk
Die reine Linie, abstrakt und ohne gegenständliche Anmutung –
jedoch nicht zweidimensional auf einem kleinformatigen Blatt Papier,
sondern weit ausholend und -schwingend im Raum: Das ist Herta Seibt
de Zinsers plastische Kunst. Die wie von Geisterhand in den Raum gezogenen
Linien, wie sie die große Halle im Freiburger E-Werk fast buchstäblich
füllen, wirken in ihrer tänzerischen Dynamik schwerelos
– auch wenn sie aus massivem Eisenrohr mit einem Durchmesser
von 21 Millimeter sind.
Begonnen hat die Freiburger Künstlerin mit peruanischen Wurzeln
vor bald zehn Jahren mit geometrischen Schöpfungen. Ihre Mobilität
verdankten diese früheren “lineas” geschmiedeten
Steckverbindungen, die eine Drehung jedes der drei Teile, aus denen
sich eine Figur zusammensetzte, um 360 Grad ermöglichten. Als
Reminiszens an das plastische Frühwerk empfängt den Besucher
jetzt eine dieser geometrischen Formen nahe dem Eingang. Ihr beigegeben
ist ein Film auf einer Videoleinwand: Eine Tänzerin agiert mit
einer der Figuren im leeren weißen Raum. Die Choreografie fußt
auf der Freiheit und Wandelbarkeit der Plastik.
Noch ungebundener muten die jüngeren Arbeiten der Ausstellung
an, Frucht der beiden letzten Jahre seit Herta Seibt de Zinsers Rückkehr
aus Lima. Auch sie sind mittels Steckverbindungen beweglich, sind
in gewisser Weise Mobiles, wie sich an denmannigfachen Metamorphosen
oder (so der Ausstellungstitel) “Transformaciones” der
Figuren ablesen lässt, die zu einer minimalistisch-fließenden
Komposition von Phillip Glass über eine Videoleinwand flimmern.
Ungebundener als die älteren Arbeiten muten sie an, weil die
Formensprache nicht länger ins Prokrustesbett der Geometrie gezwängt
ist, sondern sich nach eigener Gesetzmäßigkeit organisch
artikuliert.
Sind die in der Halle aufgebauten Plastiken äußerlich unbewegt,
so ist ihnen Dynamik gewissermaßen immanent. An einer Stelle
aus dem Boden wachsend, entwickeln sie sich als bewegte, geschlossene
Linie – oder enden frei im Raum. Gelegentlich münden sie
in der Wand. Weich geschwungene Linien setzen leise Anklänge
ans Florale oder Vegetative; dagegen gemahnt eine der Plastiken an
Louise Bougeois' riesige Metallspinnen. Die neueren Arbeiten sind
auch plastischer Erkundungen des Raums. In erster Linie freilich sind
sie Ausdrucksfiguren. Ihr Ausdruck aber ist der von Freiheit. Er gibt
ihnen die tänzerische, artistische Note. Es ist, als würden
wir Zeuge, wie sich ein Gedanke, eine Emotion zwanglos im Raum materialisiert.
Hans-Dieter
Fronz / Badische Zeitung / 08/12/06.