Befreite
Linien, befreite Körper -
AUSSTELLUNGSRUNDGANG: Kunstverein March, Amtsgericht Freiburg,
Galerie Fluchtstab, Staufen.
Stellino,Seibt de Zinser
Ja, das kommt hin – aber immer nur aus einem bestimmten Blickwinkel.
Hier eine geöffnete Erbsenschote. Da zwei Erdbeeren. Und dort:
eine Tomate. Freilich alles riesig, zum Teil manns- oder übermannshoch,
ausladend auch nach den Seiten. Und alles umrissartig, aus gebogenen
und zu Endloslinien zusammengesetzten rostigen Eisenrohren. Herta
Seibt de Zinser hat ihren Metallplastiken im Garten des Alten Pfarrhauses
in Hugstetten Assoziationen mit auf den Weg gegeben, die, so treffend
sie erscheinen, natürlich scherzhaft gemeint sind. Geht es hier
doch nicht um Abbildlichkeit – es wäre denn in dem sehr
freien Sinn, dass die organoide Formensprache ihrer Arbeiten mit der
Vegetation vor Ort, den Gräsern, Sträuchern und Bäumen
harmoniert. Figuren spielerischer Freiheit sind diese Plastiken: Schwungvoll
den Raum erkundend, finden sie ein schönes Genügen am eigenen
Elan, der eigenen Dynamik.
Im
Pfarrhaus selbst und somit im Kunstverein March treten den raumgreifenden
Gebilden ganz kleine, zartfarbige Aquarelle von Gabriela Stellino
zur Seite. Landschaft ist, auf vielen Blättern gerade noch erahnbar,
das Thema. Reduziert auf wenige horizontale, blass monochrome Streifen,
bewegen sich Stellinos Naturräume oft nah am Verschweben. Andere
Blätter – Aquarell oder Zeichnung – begnügen
sich mit stark abstrahierten und sequenziell aneinander gereihten
Strukturelementen des Natürlichen. Es geht dieser Kunst um Stimmung
und Atmosphäre – aber auch um Übergänge und zeitliche
Verläufe, wie ein am Eröffnungsabend gezeigter Film erhellt,
der verschiedene Blätter in langsamen, kaum merklichen Überblendungen
ineinander überwechseln lässt.
Gedok-Künstlerinnen
Zwei schöne Pinsel-Tuschezeichnungen aus der Serie "Reben"
von Gabriele Wübben sind im Amtsgericht Freiburg zu sehen, in
dessen Gängen die Gedok Freiburg sechs Künstlerinnen präsentiert.
Die rankende Vegetabilität reibt sich in den Zeichnungen an menschlich
vorgege-benen Strukturen. Ein analoges Spannungsverhältnis von
Freiheit des Individuellen und Regelhaftigkeit der Struktur entfalten
Bilder einer Serie in Öl. Die führen in vegetative oder
mikroskopische Ordnungen, wofern sie nicht freikünstlerisch abstrakte
Strukturen ohne Pendant in der Realität kreieren. Letztere treffen
sich mit Simone Rosenows ungegenständ-lichen Malereien. Sparsame,
zeichnerisch anmutende Setzungen in Acryl, Buntstift und Ölkreide
flottieren da ungebunden auf weißer Leinwand oder verdichten
sich nachbarschaft-lich. Der Gestus dieser fein sinnlichen Malerei
ist Freiheit.
Auf
ungegenständlichem Gebiet bewegen sich auch Beatriz Rubios Mischtechniken
und die Eitempera-Bilder Annette Räss-Küchlins. Sabine Felder
zitiert in wuchernden Collagen von Marken-Signets die Lockungen des
Konsumismus und im Titel der Serie ("Kon-sum") vielleich
Descartes. Die zeitgemäße Entsprechung zum "Cogito
ergo sum" lautete in diesem Fall: Ich konsumiere, also bin ich.
Christine Braun gibt ihren anrührenden Kinderporträts in
Öl skrip-turale Elemente bei, darin sich "Mädchen-
und Jungenträume" in Spiegelschrift kodifizieren.
Hans
Sieverding
Die menschliche Figur ist Bezugspunkt auch von Hans Sieverdings Acrylbildern
auf Leinwand und Papier in der Staufener Galerie Fluchtstab. Merkwürdiges
geschieht in dieser Malerei. Köpfe überlagern einander,
Hände und Arme vervielfältigen sich, wachsen ineinander
oder enden irgendwo im Nirgendwo. Wer sind wir, und wenn ja, wie viele?,
fragt diese Bildkunst. In den beiden ausgestellten Arbeiten der Leinwand-Serie
"Identität" legt "Sichselbstgleichheit" (eben
die meint ja der Begriff) sich in verschiedenen Bildebenen auseinander.
Ein umrissartig in groben roten Pinselstrichen gegebener Kopf überlagert
zeichnerisch vergegenwärtigte Vegetation; abgesetzt davon umflattern
im Vordergrund weiße Vögel als Schemen ein vasenartiges
Gefäß. Das zweite Bild zeigt in Frontalansicht eine in
dunkler Farbe wiedergegebene Frau im weiten Kleid – davor in
weißen Umrisslinien, nun anders gewandet und im Profil, dieselbe
Frau. Die Serie "tänzerisch" bietet ihre Figuren als
reine Schemen; die Gesichtszüge als Ausweis von Identität
sind getilgt. Befreit von Last und Zwang von Identität, erscheint
das entfesselte Soma so schwerelos und beschwingt wie die eingangs
erwähnten Plastiken von Herta Seibt de Zinser.
Hans-Dieter Fronz-
Hans-Dieter
Fronz
– Kunstverein March, Am Felsenkeller 4. Bis 22. Mai, Sa 16–18,
So 11–18 Uhr.
– Amtsgericht Freiburg, Holzmarktpl. 2. Bis 14. Juli, Mo bis
Do 8–16, Fr 8–14 Uhr.
– Galerie Fluchtstab, Kirchstr. 16, Staufen. Bis 5. Juni, Fr,
So 15–18, Sa 10–13 Uhr.