KUNST
Transformaciones
Herta
Seibt de Zinsers Plastiken im Freiburger E- Werk
wenn man die große Halle im Freiburger E- werk derzeit betritt,
begegnet man Skulpturen eigenartiger Kraft. Figuren, die wie mit einem
Strich gefertigte Zeichnungen in der Luft zu schweben scheinen. Liniengebilde
wie Kaligrafien aus Einsenrohren mit der Leichtigkeit von filigranen
Blättern oder Blumen. Semillas (Samen), Lineas (Linien), Frutos
(Früchte), Flores (Blumen) und Hojas (Blätter) heißen
dann auch die schwerelosen Plastiken der peruanisch-deutschen Künstlerin
Herta Seibt de Zinser, die sowohl die Grenze von Zeichnung und Skulptur,
wie von Installation und Performance zum Verschmelzen bringen.
Zwei großformatige Videoeinrichtungen begleiten die Ausstellung.
Hier wird die feste Installation als lebendiges Objekt präsentiert.
Die Tänzerin Mirella Carbone eignet sich das Objekt als Teil
ihrer Bewegungen an. Es wird aber auch zum statischen oder veränderbaren
Haltepunkt tänzerischer Akrobatik. Auf der anderen Videopräsentation
zeig Herta Seibt ihre Skulpturen in schneller Schnittfolge aus jeweils
anderer Perspektive und Ausrichtung und verdeutlicht was der Titel
der Ausstellung besagen soll: Transformaciones: Die Wandelbarkeit
des Stofflichen. Wir sehen nicht viele Objekte. Die Künstlerin
ist der Versuchung entgangen die große Halle des E-Werks zu
überlasten. Stattdessen ist der Raum selbst Teil der Installation.
Die Objekte aus 21 Millimeter dicken Eisenrohren, die unter Einwirkung
großer Hitze verformt wurden, wirken wie dreidimensionale Zeichnungen
vor weißer Wand, deren Schattenspiel ein zentraler Teil ihrer
Stofflichkeit bildet, die immer auch eine Auflösung und Verwandlung
ist, da sie sich mit dem Standpunkt und dem Eingriff des Betrachters
verändert. Herta Seibt, die zwischen Freiburg und Lima zuhause
ist, ist eine Künstlerin dieser verschiedensten Einflüsse.
Ihre Linienführung erinnert bisweilen an die radikalsten Vereinfachungen
in den Werken Matisses, wie auch an die rätselhaften Geoglyphen
der Nasca Kultur, den 1926 südlich von Lima entdeckten Scharrzeichnungen.
Gerade in ihrer Einfachheit bewegen die Figuren, und ein Besuch der
Ausstellung ist wie ein Gang durch eine eigene Welt. Die geschwungenen
Eisenrohre, bestehend aus jeweils drei zueinander beweglichen Teilen,
sind so gestaltet, dass sie selbst jeweils umgeformt werden können.
Das bewirkt ihre Lebendigkeit und lässt sie zu eigenen Organismen
werden, die durch ihre Vitalität und Fragilität beeindrucken.
Doch ihre Arbeit hat die Künstlerin zu einem viel weitreichenderen
Kunstverständnis geführt. Ihre Objekte sollen Kräfte-
und Wärmeverhältnisse, Beziehungen und gesellschaftliche
Strukturen des Lebens an sich erfahrbar machen. Liest man nach dem
Besuch der Ausstellung im Gästebuch, dann ist man von soviel
Resonanz beeindruckt. Dass Werke von solcher Einfachheit die Komplexität
menschlichen Erlebens offen legen können, zeig eine Rückführung
der Kunst zum einfachsten und deshalb vielleicht weitreichendstem
Ausdruck.
Manuel
Kreitmeier