Secuencias
– Gabriela Stellino und Herta Seibt de Zinser. Malerei und Skulpturen.
Kunstverein March. Eröffnung: Freitag, 29.04.11.
Einführung: Dr. Antje Lechleiter, Freiburg ©.
Sehr geehrte Damen und
Herren,
mit
Herta Seibt de Zinser und Gabriela Stellino stellen heute zwei südamerikanische
Künstlerinnen hier in der March aus. „Secuencias“
– also Sequenzen lautet der Titel dieser Ausstellung. Obgleich
wir es mit zwei Kunstgattungen – nämlich mit Malerei und
Skulptur – zu tun haben, sehen wir keine zwei getrennten Ausstellungen
an einem Ort. Beiden Künstlerinnen geht es nämlich im Wesentlichen
um die Themen Bewegung und Veränderung. Selten habe ich erlebt,
dass sich die Werke von zwei unabhängig voneinander arbeitenden
Künstlerinnen in einer Ausstellung vergleichbar überzeugend
zu einem Ganzen zusammenschließen.
Herta Seibt de Zinser wurde in Lima, Peru geboren und übte dort
nach ihrem Studium eine Lehrtätigkeit für Kunst und Keramik
aus. Sie lebt aber seit vielen Jahren in Freiburg und hat seit Oktober
2004 ihr Atelier im Freiburger E-Werk.
Mitte der 80er Jahre begann die Künstlerin zunächst im figürlichen
Bereich mit Metall zu arbeiten. Dann kombinierte sie diesen Werkstoff
mit Wolle und auch mit Keramik. Inzwischen arbeitet Herta Seibt de
Zinser mit unterschiedlich dicken Eisenrohren, die unter großer
Hitze gebogen werden. Die einzelnen Abschnitte werden mit einem Stecksystem
verbunden, wobei die Nahtstellen weitgehend unsichtbar bleiben. Die
absolute Perfektionierung dieses Biegevorganges macht es möglich,
dass wir den Verlauf der Rohre als fließende Bewegung wahrnehmen,
keine Knicke oder Kanten stören unser Auge beim „Begehen“
der räumlichen Struktur. Diese Skulpturen sind ungemein dynamisch,
sie formulieren eine Bewegungslinie im Raum. Die Ausrichtung der Arbeiten
ist flexibel, je nach Drehung der einzelnen Abschnitte kann ein und
die selbe Skulptur ganz unterschiedlich aussehen. Entsprechend dem
Ort der Aufstellung erleben wir also verschiedenste Erscheinungsformen.
Am Anfang hat die Künstlerin zwar eine Idee, aber keinen vorgegebenen
Entwurf. Die Skulptur entsteht im Atelier aber auch während des
Aufbaus und nimmt Bezug zur Stelle, an der sie stehen soll. Dies ist
zentraler Bestandteil des Konzeptes, hier im Außenbereich beispielsweise
sollen die Werke die Form von Bäumen und Büschen aufnehmen
oder auch mit der vorhandenen Architektur kommunizieren. Überdies
verändern sich die Objekte beim Umrunden – auch wir müssen
uns bewegen, damit sich die Skulptur bewegt. Und wie sie sich dann
bewegt! Es ist faszinierend, wie sich diese Gebilde immer an der Grenze
des Gleichgewichtes entlang tasten. Man das Gefühl, als würden
die Arbeiten fast schon schweben, und man erlebt gleichzeitig die
Diskrepanz zwischen dem spröden, schwer zu biegenden Stahl und
der heiteren Leichtigkeit der Skulptur. Dieses Spiel mit dem Gleichgewicht
ist sehr wichtig, nicht umsonst hat Herta Seibt de Zinser in ihrem
Film „Lineas“ die Choreografie eines Tanzes mit einer
sich verändernden Skulptur verbunden. Ich habe vorhin von verschiedenen
Erscheinungsformen der Skulpturen gesprochen, vielleicht wäre
aber der Begriff der Metamorphose fast treffender. Es fällt nämlich
auf, dass sich ihre Titel stark an pflanzlichen Strukturen orientieren:
Frutto, Flor, Hoja und Semilla also Frucht, Blüte, Blatt und
Samen. Tatsächlich fällt im Vergleich mit den eher strengen,
geometrischen Formen, die noch in der Gruppe der „Lineas“
um das Jahr 2000 herum dominierten auf, dass Herta Seibt de Zinsers
Gestaltungen organischer geworden sind. Ganz zweifellos ist die Natur
ein wichtiges Vorbild. Die durch äußere Reize hervorgerufene
Veränderung von Samen, Blüten und Früchten, das Wachstum
von Stängeln und Blättern, das was in der Botanik als „Phyllotaxis“
bezeichnet wird, mag man damit verbinden. Dennoch sehen wir kein Abbild
dieser natürlichen Prozesse. Wir erleben nur eine vergleichbare
Idee von Bewegung und Veränderung.
In den ausgestellten Werken zeigt Herta Seibt de Zinser, dass Kunst
eine sinnliche Erfahrung ist und nicht nur den Verstand ansprechen
soll. Die Größe ihrer Objekte lässt etwas Besonderes
entstehen, nämlich das Gefühl, man könnte sich theoretisch
in die Skulptur hineinbegeben und an ihrer Veränderlichkeit teilhaben.
In diesem Sinne sind ihre Arbeiten nicht nur Skulpturen, sie können
als Installationen oder Objekte angesprochen werden, und sie verlangen
förmlich nach der Interaktion im Rahmen einer Performance.
Gabriela Stellino wurde in Argentinien geboren und besuchte in Buenos
Aires die Staatliche Hochschule für Bildende Kunst. Nach Abschluss
des Studiums ging sie zunächst nach Brasilien, 1997 kam sie schließlich
nach Deutschland. Sie lebt in Riegel und unterrichtet neben ihrer
freien künstlerischen Arbeit an der Akademie für Kommunikation
in Freiburg. Das was Sie heute in dieser Ausstellung erleben, benötigte
eine lange Vorbereitungsphase von mehreren Jahren. Denn die hier ausgestellten,
kleinformatigen Landschaftsaquarelle sind Grundlage für einen
Trickfilm, den wir gleich im Anschluss an meine Einführung sehen
werden. Und wie ist dieser entstanden? Nun, Gabriela Stellino machte
zunächst kleine Skizzen in der Natur, die sie mit den formal
wichtigen Hinweisen beschriftete (oben zu sehen). Dann entstanden
die hier auf dieser Etage ausgestellten Aquarelle, welche die Veränderung
der Landschaft zum Thema haben. Diese Aquarelle bilden wiederum die
Grundlage für den in technischer Hinsicht ganz klassisch hergestellten
Trickfilm. Warum ganz klassisch? Nun, diese Filme werden nicht Computer-animiert,
sondern wurden Bild für Bild eben in Aquarelltechnik gemalt,
und es findet auch keine digitale Nachbearbeitung statt. Jede Sequenz
besteht aus ca. 150-200 Aquarellen, die eine zusammenhängende
Folge bilden. Frau Stellino spricht daher weniger von einem Trickfilm,
als von bewegter Malerei. Der gesamte Film trägt den Namen „Belebte
Bilder“, dauert 30 Minuten und besteht aus sieben Folgen. Hier
in der March sind Werke zu den drei Sequenzen „Grenzen der Sichtbarkeit“
(2002), „Zypressen 2“ und „Bahia“ (2008) zu
sehen. Wenn Sie im Anschluss an die Eröffnung die Filmsequenzen
zu den Aquarellen sehen, werden Sie merken, dass sich die Bilder während
des Filmes ganz, ganz langsam verändern. Bergrücken oder
Baumspitzen geben beispielsweise bei „Grenzen der Sichtbarkeit“
eine Horizontlinie an, die darüber stattfinden Veränderungen
sind so fein, dass man sich intensiv auf den Ablauf konzentrieren
muss. Die Dynamik beschränkt sich wirklich auf minimale Veränderungen,
die immer direkt aus der Natur kommen. Wir erleben den Wechsel von
Licht und Schatten, das Vorüberziehen von Wolken, das Aufkommen
von Nebel oder auch das Verschwinden von Bestandteilen der Natur.
Menschen kommen in diesen, übrigens hier aus der Region stammenden
Landschaften nicht vor. Die Farbigkeit beschränkt sich auf Grauwerte,
dunkles Blau und Schwarz, selten treten rote Akzente hinzu. Es wird
nichts erzählt, der Film berichtet nicht vom Wechsel der Jahreszeiten,
von einem Sonnenaufgang oder dem Heraufziehen eines Gewitters. Statt
dessen erleben wir immer den gleichen Blick auf die gleiche Landschaft,
und nur die sich ganz allmählich vollziehenden Bewegungen geben
einen Rhythmus vor. So bilden Malerei und Film kein Abbild der Wirklichkeit,
es besteht lediglich so etwas wie eine Beziehung zur Realität.
Entsprechend offen sind Bilder und Film, die Veränderungen könnten
sich endlos fortsetzen, es gibt kein Anfang und kein Ende. Und so
ergibt sich die Wahl der Aquarelltechnik auch ganz logisch. Es geht
nicht um fotografisch oder grafisch genau festgehaltene Details, sondern
um den inneren Charakter einer Bewegung, die den Film zum Leben erweckt.
Der argentinische Pianist Fernando Viani hat die Musik zum Film komponiert,
und Sie werden nachher gleich merken, dass sich Musik und Malerei
kongenial verbinden. Mit einer Art von Drehbuch hat er die Dinge,
die im Film eben „passieren“, Stück für Stück
entsprechend den Szenenbeschreibungen in Musik umgesetzt. Wir hören
gleich also keine Improvisation über Malerei, sondern eine Komposition
für Bilder.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe bereits am Beginn meiner Rede
darauf hingewiesen, dass ich selten ein so intensives Ineinandergreifen
von zwei künstlerischen Positionen in einer Ausstellung erlebt
habe. Abschließen will ich meine Einführung daher mit einem
schönen Zitat von Peter Sitte, der unter dem Titel „Leben
und Verwandlung“ einen Katalogtext für Herta Seibt de Zinser
geschrieben hat. Ich denke, dass diese Worte auch für die Werke
von Gabriela Stellino Gütigkeit haben.
„Der Lauf der Zeit wird uns nur erkennbar durch Erscheinungen,
die sich wandeln, sich mit der Zeit verändern. Alles Starre,
Unveränderliche lässt uns die Zeit nicht spüren, wir
verleihen ihm Attribute des Bleibenden, Immerwährenden, Ewigen.
In diesen Bereich gehört das Leben nicht: Alles Lebende verwandelt
sich ständig“.